Donnerstag, 2. August 2007
Lobotomie (oder rupf mir den Verstand aus dem Kuckucksnest)
Hier gibt es eine kurze Geschichte der Lobotomie: http://scienceblogs.com/neurophilosophy/2007/07/inventing_the_lobotomy.php
(gefunden via http://www.mindhacks.com/blog/2007/07/an_illustrated_histo.html)

In meiner Jugend hatte ich eine Geschichtszeitschrift abonniert: "Damals", ein naturgemäß textlastiges Heft im DIN-A 5 - Format, das sich offensichtlich an Geschichtslehrer mit Zweitfach Latein (oder einem anderweitigen altphilologischem Interesse) wandte.

An einen Artikel erinnere ich mich, als wäre es gestern gewesen, und das war der über Schädeltrepanationen im alten Peru, die - das legten zumindest Untersuchungen an den malträtierten Schädeln nahe - den Opfern eine gewisse Lebenserwartung auch nach der Operation erlaubten.

Die Trepanation oder Schädelöffnung ist bereits für die Steinzeit nachgewiesen, insofern ist das mit dem Fortschritt manchmal so eine Sache. Andererseits bin ich der Überzeugung, dass die Leute früher genauso schlau waren wie heute, und dass es zu jeder Zeit ein gewisses, vielleicht sogar ähnliches Mass an grotesken Verwirrungen gibt. Deshalb bin ich doch neugierig, was die Lobotomie des frühen 21. Jahrhunderts ist.

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warum einige glück gehabt haben
"Von ungünstigen Nebenwirkungen der präfrontalen Lobotomie war zu Anfang kaum die Rede, von den wenigen Fällen abgesehen, in denen ein Patient starb. Als jedoch immer mehr psychochirurgische Fälle Patienten mit Psychoneurosen und psychosomatischen Beschwerden betrafen, änderte sich das Bild. Selbst den glühendsten Anhängern der Lobotomie wurde klar, daß der Zustand der Patienten nach der Operation häufig schlechter war, als der, den die Operation hatte beheben sollen. (...) In diesem Zusammenhang ist Freemans Meinung von Interesse, daß nämlich 'Frauen besser reagieren als Männer, Neger besser als Weiße und Syphilitiker besser als Nichtsyphilitiker', dennoch, so war seine Überzeugung, 'wäre eine Beschränkung der Lobotomie auf syphilitische schwarze Frauen der Gipfel der Absurdität'. Diese Klassifizierung erinnert an die Behauptungen der Kraniologen und Phrenologen des 19. Jahrhunderts über die natürliche Minderwertigkeit des Gehirns von Frauen und Schwarzen, eine Vorstellung, die um die Mitte des 20. Jahrhunderts in dem Artikel eines englischen Arztes, der fünf Jahre in Kenia praktiziert hatte, erneut aufgenommen und weiterverfolgt wurde. Im Jahre 1950 versuchte dieser Arzt zu zeigen, daß das normale Verhalten von Schwarzen in Ostafrika dem postoperativen Verhalten leukotomisierter oder lobotomisierter weißer Europäer insoweit ähnele, als Euphorie, Taktlosigkeit, 'die Tendenz, sozial und intellektuell mit geringen Leistungen zufrieden zu sein', Geschwätzigkeit und 'geringes Urteilsvermögen', wie sie für lobotomisierte Europäer typisch seien, 'auch die meisten Ostafrikaner kennzeichnen'. (...) Und, so fügt er hinzu, "es scheint nicht ohne Bedeutung zu sein, daß mindestens einer der wenigen Europäer, die in Kenia lobotomisiert wurden, seit seiner Operation viel glücklicher mit Afrikanern zusammenlebt als mit Europäern, ganz im Gegensatz zu seinen vorherigen Gepflogenheiten und zur großen Verlegenheit seiner Familie".
(Stephan L. Chorover: Die Zurichtung des Menschen. Von der Verhaltenssteuerung durch die Wissenschaft. Fft a. M. 1985, S.224 f). Und bevor die Lobotomisierten glücklich mit Syphilitikern, Afrikanern oder Frauen zusammenleben, stellt man das Lobotomisieren lieber ein.

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